Liechtenstein – die Anfänge der Burg und
die Herkunft der fürstlichen Familie
Das Fürstentum Liechtenstein mit einer Fläche von 160 km2 und etwa 36.500 Einwohnern stellt in seiner historischen Entwicklung einen Sonderfall dar: Es ist das einzige von etwa 300 geistlichen und weltlichen Kleinfürstentümern und reichsunmittelbaren Herrschaften, die es einst im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation gab und die den Untergang des Reiches 1806 überdauert haben. Das Großherzogtum Luxemburg, das ebenfalls zu diesen Fürstentümern zählte, ist wesentlich älter und auch um ein Vielfaches größer als Liechtenstein. Dank der hervorragenden wirtschaftlichen Entwicklung, die Liechtenstein im letzten Jahrhundert erlebt hat, gibt es auch eine Fülle von Darstellungen zur liechtensteinischen Geschichte. Die Herkunft der fürstlichen Familie und die Anfänge der namengebenden Burg Liechtenstein nahe von Mödling werden aber in den meisten Arbeiten noch immer völlig falsch dargestellt. Dazu hat vor allem der Name beigetragen, der im deutschen Sprachraum nicht nur bei einem sondern bei zahlreichen Adelsgeschlechtern begegnet.
Drei Familien namens Liechtenstein
Der Name Liechtenstein ist leicht zu deuten: er weist auf den hellen Felsen oder Burghügel hin, auf dem ein Adelsgeschlecht seinen Stammsitz errichtete. Das Gegenstück dazu ist der Name Schwarzenberg, der beim europäischen Adel ebenfalls mehrfach vertreten ist. Allein im Raum Österreich – Süddeutschland –Schweiz und Mähren gibt es sieben Burgen des Namens Liechtenstein, auf denen durchwegs bedeutende Geschlechter ansässig waren: Liechtenstein bei Mödling in Niederösterreich, der Stammsitz des fürstlichen Hauses; Liechtenstein bei Judenburg in der Steiermark; Liechtenstein oberhalb von Leifers in Südtirol; Liechtenstein über Haldenstein in Graubünden in der Schweiz; Liechtenstein im Landkreis Reutlingen in Württemberg; Liechtenstein bei Ebern in Unterfranken und Liechtenstein in der Gemeinde Schönwald (Krásny Les) im Gerichtsbezirk Schildberg (Stíty) in Nordmähren.
Vor allem drei Geschlechter werden immer wieder miteinander verwechselt: Die regierenden Fürsten von Liechtenstein, deren Stammsitz die Burg Liechtenstein bei Mödling war, die sich seit dem 13. Jahrhundert vorwiegend nach Nikolsburg (Mikulov) in Mähren nannten und heute auf Schloss Vaduz im Fürstentum Liechtenstein residieren. Die steirischen Herren von Liechtenstein mit dem Stammsitz bei Judenburg in der Steiermark, deren Geschlecht der berühmte Minnesänger Ulrich von Liechtenstein (ca. 1200-1275) entstammte und die 1619 erloschen. Schließlich die Herren von Liechtenstein-Karneid bzw. Liechtenstein-Castelcorno aus Südtirol, deren Stammsitz oberhalb der Ortschaft Leifers lag. Die Tatsache, dass die Südtiroler Liechtensteiner zwei Bischöfe von Olmütz in Mähren stellten, während dem Geschlecht der österreichischen Liechtensteiner, deren Hauptbesitz in Mähren lag, der Bischof und Kardinal Georg von Trient (1390-1419) entstammte, hat wesentlich zu diesen Verwechslungen beigetragen. Außerdem schien es dem Ruhm des fürstlichen Hauses nicht abträglich, einen so berühmten Mann wie den Dichter und Minnesänger Ulrich von Liechtenstein zur eigenen Familie zu zählen. Tatsächlich haben aber erst seit dem 13. Jahrhundert Heiratsverbindungen zwischen den österreichischen und den steirischen Herren von Liechtenstein, die weder stammesgleich noch urverwandt waren, eingesetzt.
Vom bayerischen Nordgau an die österreichische Donau – der Ahnherr Hugo I.
Die Markgrafschaft Österreich, die 1156 zum Herzogtum erhoben wurde, gilt als ein Werk der so genannten Babenberger. Dieses Geschlecht, das seine Herkunft selbst von den alten Babenbergern (=Bambergern) ableitete, war wohl eine Seitenlinie des bayerischen Herzogshauses der Luitpoldinger. Deshalb findet sich auch bei den Babenberger in jeder Generation der Name Luitpold (Leopold). In einem Zeitraum von 270 Jahren (976-1246) dehnten die Babenberger ihre Herrschaft über das heutige Niederösterreich, Teile des östlichen Oberösterreich und 1192 auch über die Steiermark aus. Aufgrund ihrer dominanten Position wird meist übersehen, dass mit und neben den Babenbergern noch eine Reihe anderer Hochadelsgeschlechter an der Erschließung und Besiedlung des Gebietes an der österreichischen Donau beteiligt waren wie die Grafen von Plain, die Grafen von Poigen und Regau, die Grafen von Falkenstein, die Grafen von Formbach (Vornbach), die Sighardinger und manche andere. Als größte Konkurrenten der Babenberger traten aber im 12. Jahrhundert die Grafen von Cham und Vohburg, Markgrafen im bayerischen Nordgau, in Erscheinung.
Kaiser Heinrich III. konnte in schweren und verlustreichen Kämpfen gegen die Ungarn die Ostgrenze des Deutschen Reiches 1043 bis an die Leitha vorschieben. Mit der Gründung neuer Marken wollte er für einen zusätzlichen Schutz der Grenze sorgen. Das Projekt einer „Ungarnmark“ konnte zwar nicht auf Dauer realisiert werden, rief aber weitere bayerische Adelsgeschlechter in das umkämpfte Grenzgebiet. Graf Diepold II. aus dem Geschlecht der Vohburger, der spätere Markgraf im bayerischen Nordgau, trat seit 1060 im Gebiet an der Donau auf, wo sich die Burg Mödling südlich von Wien in seinem Besitz befand. Er brachte dort die aus Ungarn geflohene Familie des Königs Andreas II., der an einer Verwundung gestorben war, in Sicherheit. Damals gelang es Diepold auch, sich umfangreichen Eigenbesitz im Raum um Hainburg, Bruck an der Leitha, Großhöflein und Petronell zu sichern. Zahlreiche seiner Gefolgsleute ließen sich im Gebiet zwischen der Fischa und der Leitha nieder.
In den heftigen Kämpfen des Investiturstreits ab 1075 stand Diepold II. als Markgraf des Nordgaus fest auf Seiten Kaiser Heinrichs IV., während Markgraf Leopold II. von Österreich für Papste Gregor VII. Partei ergriff. Als Diepold II. 1078 unter Hinterlassung eines unmündigen Sohnes starb und ihm zwei Jahre später auch sein Bruder Rapoto IV. von Cham im Tod folgte, führte das zum Rückzug der Vohburger aus ihren österreichischen Positionen. Ihre Gefolgsleute, die im Grenzgebiet zwischen Österreich und Ungarn ansässig blieben, gerieten dadurch immer stärker in Abhängigkeit von den Babenbergern. Markgraf Diepold III. von Cham und Vohburg, der zu den einflussreichsten Ratgebern des Königs und Kaisers Heinrich V. zählte, versuchte nochmals die Positionen an der Donau zu behaupten. Als er 1108 auf einem Kriegszug nach Ungarn mit dem König nach Österreich kam, nahm er sofort Kontakt zu den alten Gefolgsleuten seines Hauses auf und bemühte sich, mit Unterstützung Heinrichs V. alte Besitzansprüche in diesem Gebiet erneut durchzusetzen. Trotz beachtlicher Erfolge entschied er sich einige Jahre später für den endgültigen Rückzug aus den Positionen an der Donau, um sich ganz dem Ausbau seiner großen Herrschaftsgebiete um Cham, Nabburg (in der Oberpfalz) und Eger (Cheb in Böhmen) zu widmen.
Damit sahen sich auch Diepolds zahlreiche Gefolgsleute vor die Entscheidung gestellt, entweder mit dem Markgrafen zurück in den bayerischen Nordgau zu ziehen oder in ihrer neuen Heimat an der Donau zu bleiben. Die Mehrzahl blieb in Österreich und trat in die Dienste der Babenberger, wo sie bald zur Spitzengruppe der Ministerialen (Dienstmannen) zählten und von ihren neuen Herren bedeutende Zugeständnisse erhielten. Zu ihnen zählten die Sonnberger und deren Seitenlinie, die Hainburg-Rötelsteiner, weiters die Ministerialen von Hainburg-Prellenkirchen, Himberg-Pillichsdorf-Wolkersdorf-Ulrichskirchen, Ebergassing-Trautmannsdorf, Gerlos-Stopfenreuth, Haslau-Gallbrunn-Göttlesbrunn, die Mistelbacher und ihre Seitenzweige, wahrscheinlich auch die später so mächtigen Herren von Maissau. Der größte Aufstieg aber war jenem Geschlecht beschieden, das als einziges noch heute blüht: den Herren und Fürsten von Liechtenstein.
In der fürstlichen Familie gibt es seit langem den Brauch, dass möglichst in jeder Generation ein männlicher Vertreter den Namen Hugo führt und damit an den ersten bedeutenden Vertreter des Geschlechts erinnert. Hugo I. wird mit dem Prädikat „von Liechtenstein“ in den Jahren 1120/30 bis 1143 insgesamt siebenmal urkundlich genannt, davon sechsmal im Traditionsbuch des Augustiner-Chorherrenstiftes Klosterneuburg und einmal in jenem des Zisterzienserklosters Zwettl, einer Gründung der Herren von Kuenring. Dabei trat der erste Liechtensteiner dreimal im Gefolge des Babenbergers Leopold IV. auf, der zunächst Markgraf von Österreich und 1139–1141 auch Herzog von Bayern war. Als dieser durch den Grafen Luitold von Plain Besitz in Pirawarth (bei Gänserndorf in Niederösterreich) an das Stift Klosterneuburg übergab, erscheint mitten unter neun Zeugen edelfreier Herkunft, nach Hartnid und Konrad von Traisen und vor Hadmar von Kuffern, Hugo von Liechtenstein (Huc de Lihtensteine). „Auf seinem Totenbett“, am 18. Oktober 1141, übergab Herzog Leopold IV. das Gut Krumau am Kamp an die Zisterzienserabtei Zwettl. Im letzten Drittel der Zeugenreihe wird unter den Dienstmannen des Herzogs auch Hugo von Liechtenstein genannt. Auch alle anderen Nennungen im Traditionsbuch von Klosterneuburg reihen Hugo unter die Zeugen aus dem Ministerialenstand. Es kann also kein Zweifel daran bestehen, dass Hugo zu diesem Zeitpunkt zu den „Ministerialen“, den unfreien Dienstmannen Herzog Leopolds zählte.
Über Hugos Herkunft und ursprünglichen Stand gibt eine Urkunde Auskunft, die König Konrad III. im Mai 1142 ausstellte. Hugo, der ohne Prädikat auftritt, wird darin als Getreuer (fidelis) des Königs bezeichnet. Markgraf Diepold III. von Cham und Vohburg hatte den Ort Petronell an der Donau, den Hugo bisher von ihm zu Lehen getragen hatte, dem König übergeben. Dieser übertrug nun Petronell als freies Eigen an Hugo. Zu Petronell gehörte umfangreicher Grundbesitz, der sich von der Donau im Norden bis zur Leitha im Süden erstreckte und auch Fischerei und Jagdrechte umfasste. Auf Bitten seines Stiefbruders, des Markgrafen und späteren Herzogs Heinrich II. „Jasomirgott“ von Österreich, hatte der König bereits die Abhaltung eines täglichen Marktes in Petronell bewilligt. In Anwesenheit zahlreicher Fürsten übertrug nun Konrad III. den Markt Petronell mit allem Zubehör als freies Eigen an den Getreuen Hugo, hinter dem sich kein anderer als der erste bekannte Liechtensteiner verbirgt.
Aus dieser Urkunde geht hervor, dass Hugo als freier Gefolgsmann des Markgrafen Diepold III. nach Österreich gekommen war und von diesem mit Petronell belehnt wurde. Seine angesehene Position geht aus der Belehnung durch den König, die Anwesenheit zahlreicher Fürsten und die umfangreichen Rechte, die er für den Markt Petronell erhielt, hervor. Auch sein neuer Dienstherr, Markgraf Heinrich II. von Österreich, der 1141 seinem verstorbenen Bruder Leopold IV. gefolgt war, hatte sich für Hugo eingesetzt. Er verzichtete offensichtlich darauf, dass Hugo in dieser Urkunde als sein Ministeriale bezeichnet wurde, obwohl dieser schon seit einigen Jahren in den Diensten der Babenberger stand. Petronell, dass nach der namengebenden Patronin, der hl. Petronilla, damals als St. Petronell bezeichnet wurde, ging von Hugo an seine Nachkommen über und war von 1234 bis 1303 der namengebende Sitz einer Linie des Hauses Liechtenstein.
Was aber hatte Hugo bewogen, seine Position als Edelfreier aufzugeben und ganz offenbar im Einverständnis mit dem Markgrafen Diepold III., der sich damals aus den österreichischen Positionen zurückzog, in die Dienste der Babenberger zu treten? Der Preis dafür war mit ziemlicher Sicherheit die Burg Liechtenstein, die Hugo nur mit Zustimmung der Babenberger errichten konnte. Die Burg Mödling, ganz in der Nähe von Liechtenstein, war einst ein wichtiger Stützpunkt der Vohburger in Österreich. Spätestens seit 1114 war sie jedoch im Besitz der Babenberger, da sich seit diesem Jahr babenbergische Burggrafen auf Mödling nachweisen lassen. Mit Mödling waren aber auch die Liechtensteiner eng verbunden. Hinter jenem Hugo von Mödling, der nur einmal um 1140 im Traditionsbuch von Klosterneuburg genannt wird, verbirgt sich wohl kein anderer als der erste Liechtensteiner. Auch jener Hugo von Leesdorf (im Gemeindegebiet von Baden bei Wien), der 1114 und 1122 auftritt, wird wohl Hugo I. von Liechtenstein gewesen sein, der sich vor dem Bau der Burg Liechtenstein nach diesem Ort nannte. Damit lässt sich die Errichtung der Burg in die Jahre zwischen 1122 und 1136, als Hugo I. sich zum ersten Mal mit dem Prädikat „von Liechtenstein“ auftrat, datieren.
Der Bau einer Burg bedeutete damals für Ministerialen ein besonderes Vorrecht, das sie nur vom Landesfürsten erhalten konnten. Meist saßen Dienstmannen auf größeren Gutshöfen oder Meierhöfen, bisweilen auch auf einfachen Wohntürmen. Auch Hugos frühe Sitze in Leesdorf, Steden und vielleicht auch in Mödling dürften diesem Typ entsprochen haben. Die Burg Liechtenstein war jedoch, wie neue archäologische Untersuchungen gezeigt haben, schon im 12. Jahrhundert ein stattlicher Bau in Form einer mehrgliedrigen Anlage. Der Eintritt Hugos in die Dienstmannschaft der Babenberger war also mit außerordentlichen Zugeständnissen erkauft worden. Dass dies in Absprache mit den Markgrafen von Cham und Vohburg erfolgte, zeigt die Übertragung von Petronell, die erst etliche Jahre nach dem Bau der Burg Liechtenstein stattfand. Mödling wurde im frühen 13. Jahrhundert zum Sitz der Herzoge von Mödling, einer Seitenlinie der Babenberger. Auch darin kam die enge Verbindung der Liechtensteiner zum Herzogshaus zum Ausdruck. Liechtenstein aber blieb als „Stammsitz“ jenes Prädikat, das die Herren und regierenden Fürsten bis heute führen, obwohl die Burg selbst bereits 1278 im Erbweg an die steirischen Herren von Stadeck (Stattegg) fiel und erst 1807 als Ruine vom Fürsten Johann I. zurückgekauft wurde.
Liechtenwarth, Petronell und Rohrau
Liechtenstein und Petronell waren aber nicht die einzigen Güter, auf die sich das Interesse Hugos I. konzentrierte. Schon vor dem Jahr 1136 übergab der erste Liechtensteiner Besitz in Prinzendorf an der Zaya im nördlichen Niederösterreich an das Stift Klosterneuburg. Prinzendorf liegt in der Gemeinde Hauskirchen, die ursprünglich Hugeskirchen hieß und nach einem Hugo benannt ist. Auch das nahegelegene Hausbrunn, das im 12. und 13. Jahrhundert als Hugesprunne in den Quellen erscheint, geht auf denselben Namen zurück. In beiden Orten hat sich offenbar Hugo I. von Liechtenstein als Namengeber verewigt, der hier schon in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts begütert war. Zwischen Hausbrunn und Hauskirchen liegt Neu-Liechtenwart, das heute St. Ulrich heißt, und etwas nördlich davon Alt-Liechtenwarth mit seinem markanten Burghügel. Dort, wo heute eine Aussichtswarte mit einem Kriegerdenkmal steht, lag einst eine Burg, die im frühen 13. Jahrhundert den Hauptsitz Heinrichs I. von Liechtenstein bildete. Er trat selbst mehrfach als Heinrich „von Liechtenwarth“ auf und führte dieses Prädikat auch in seinem Siegel, bevor er ab 1249 den Schwerpunkt seiner Herrschaft weiter nach Norden, nach Nikolsburg (Mikulov) in Mähren verlegte. Die Güter an der Zaya, weit im Norden der Donau, zählten offenbar zum ältesten Besitz der Liechtensteiner in Österreich.
Da der Name Hugo (Hûc) damals in Österreich sehr selten, fast exklusiv war, hat es nicht an Versuchen gefehlt, den ersten Liechtensteiner auch mit anderen Trägern dieses Namens zu identifizieren. Vielleicht trifft das auf den 1120/30 genannten Hugo von Stedendorf zu, dessen Prädikat wohl nicht mit Stetteldorf am Wagram (nördlich von Tulln) zu identifizieren ist, das sich erst im letzten Viertel des 13. Jahrhunderts im Besitz der Liechtensteiner nachweisen lässt, sondern eher mit Stetten bei Korneuburg. Darüber hinaus ist es nicht gelungen, Hugo I. von Liechtenstein mit anderen Personen zu identifizieren oder seine Herkunft weiter zurück zu verfolgen.
Trotzdem gewinnt man vom „Ahnherrn“ des Hauses Liechtenstein ein relativ plastisches Bild: Als freier Gefolgsmann und Lehensträger der Markgrafen von Cham und Vohburg kam er oder einer seiner Vorfahren an die österreichische Donau und erhielt hier die große Herrschaft Petronell. Als sich nach dem Ende des Investiturstreits der Rückzug der Vohburger aus ihren Positionen an der Donau abzeichnete, wusste Hugo die Zeichen richtig zu deuten und trat in Verbindung zu Markgraf Leopold III. von Österreich und dessen gleichnamigem Sohn und Nachfolger. Ein geschicktes Lavieren zwischen den Babenbergern, in deren Dienstmannschaft er eintrat, und den Vohburgern, deren Unterstützung ihm erhalten blieb, ermöglichte Hugo den Aufbau einer beachtlichen Position in Österreich. Nördlich der Donau lag der ausgedehnte Besitz an der Zaya, wo die Namen Hausbrunn und Hauskirchen bis heute an den ersten Liechtensteiner erinnern. Nahe dem babenbergischen Machtzentrum Mödling konnte Hugo wohl selbst die stattliche Burg Liechtenstein errichten, nach der er und seine Nachkommen sich hinfort nannten. Die große Herrschaft Petronell mit dem Markt, zu dem auch eine Ladestelle für Donauschiffe an der Stelle des späteren Ortes Maria Ellend gehörte, bot seit 1152 als freies Eigen die Möglichkeit zum Ausbau der liechtensteinischen Machtposition in Österreich. Die rasche und vollständige Integration Hugos in die Dienstmannschaft der Babenberger geht aus den Namen Dietrich und Albert hervor, die im 12. und 13. Jahrhundert durch Heiratsverbindungen mit anderen babenbergischen Ministerialen zu Leitnamen der Liechtensteiner wurden, während der Name Hugo erst einige Generationen später wieder auftauchte. Der Name Rapoto, den die Liechtensteiner ebenfalls führten, könnte durch Hugos Frau in die Familie gekommen sein. Sie war wohl eine Schwester des Edelfreien Rapoto von Schwarzenburg-Nöstach. Nicht nur der auffallende Kontrast zwischen den Namen Schwarzenburg und Liechtenstein deutet auf enge Beziehungen hin, sondern auch die Tatsache, dass die Kirche von Brunn am Gebirge bis ins 14. Jahrhundert der Burg Liechtenstein unterstand. Sie war offenbar im Erbweg an Hugo von Liechtenstein gelangt, da Haderich III. von Schwarzenburg 1108 drei Königshufen in Brunn am Gebirge erhalten hatte.
Nach dem Tod Hugos I. von Liechtenstein, der 1143 zum letzten Mal in den schriftlichen Quellen genannt wird, sucht man mehr als drei Jahrzehnte lang vergeblich nach einem Vertreter des Hauses. Jener Dietrich von Liechtenstein, der von 1178 bis gegen 1200 als Ministeriale Herzog Leopolds V. von Österreich nachweisbar ist, war wohl nicht der Sohn sondern bereits ein Enkel Hugos von Liechtenstein. Wenn es stimmt, dass Hugo eine Schwester Rapotos von Schwarzenburg-Nöstach zur Frau hatte, dann liegt die Vermutung nahe, dass ein Rapoto von Liechtenstein das Geschlecht fortpflanzte. Durch dessen Gattin hat dann wohl der Name Dietrich in das Haus Liechtenstein Eingang gefunden. Dietrich I. nahm wahrscheinlich eine Tochter Alberts von Pfaffstätten zur Frau, wodurch neben Rapoto und Dietrich der Name Albert zum dritten Leitnamen des Geschlechts wurde.
Dietrich I. hatte eine Tochter namens Wirat, die als Augustiner-Chorfrau ins Stift Klosterneuburg eintrat, und drei Söhne Dietrich II., Rapoto und Albert, die alle das Prädfikat „von Liechtenstein“ führten. Rapoto nannte sich aber auch nach St. Petronell, der zweifellos bedeutendsten Herrschaft im Besitz seiner Familie. Seine angesehene Position kam darin zum Ausdruck, dass er anlässlich einer Schenkung an das Stift Klosterneuburg mit vier ritterlichen Gefolgsleuten auftrat, die alle das Prädikat „von St. Petronell“ führten. Da Rapotos einzige Tochter Kunigunde ebenfalls als Chorfrau in das Stift Klosterneuburg eintrat, wurde die Linie Liechtenstein-Petronell von seinem Neffen Albert II. fortgesetzt.
Dietrich II. von Liechtenstein hatte drei Söhne, die um 1230 den Gesamtbesitz der Familie untereinander aufteilten und eigene Linien begründeten. Der älteste von ihnen, der so wie der Vater Dietrich hieß, übernahm den Stammsitz Liechtenstein. Er nannte sich aber auch nach Rohrau (nordöstlich von Bruck an der Leitha), wo er auf dem südlichen Teil der großen Herrschaft Petronell eine Burg errichtete. Ihr Bau stand im Zusammenhang mit der verstärkten Sicherung der Leithagrenze gegen Ungarn, die Herzog Leopold VI. im ersten Drittel des 13. Jahrhunderts in Angriff nahm. Dietrich III., der 1258 starb, war mit einer Margarethe vermählt, die wohl dem Geschlecht der Herren von Falkenberg entstammte. Darauf deutet die Tatsache hin, dass bei einer Schenkung Margarethes „zum Seelenheil ihres verstorbenen Gatten“ an die Zisterzienserabtei Heiligenkreuz Rapoto von Falkenberg als erster Zeuge auftrat; noch vor Dietrichs Brüdern Heinrich I. von Liechtenstein und Albert II. von Petronell.
Dietrich IV. von Rohrau, mit dem diese Linie des Hauses Liechtenstein 1278 erlosch, war mit Diemut von Feldsberg vermählt. Diese heiratete in zweiter Ehe den steirischen Ministerialen Hartnid von Stadeck (heute Stattegg nördlich von Graz) und ihre gleichnamige Tochter aus der Ehe mit Dietrich IV. nahm mit Leutold von Stadeck einen Angehörigen derselben Familie zum Gatten. Durch diese enge Verbindung gingen nach dem Tod Dietrichs von Liechtenstein-Rohrau nicht nur die Burg Rohrau sondern auch Burg und Herrschaft Liechtenstein bei Mödling, der Stammsitz des Geschlechts, in den Besitz der Herren von Stadeck über. Liechtenstein blieb dessen ungeachtet der Name des gesamten Hauses, aber es sollte mehr als ein halbes Jahrtausend dauern, bis die Fürsten Liechtenstein 1807 ihren alten Stammsitz durch Kauf wieder in ihren Besitz brachten.
Auch der Linie Liechtenstein-Petronell war keine lange Blüte beschieden. Albrecht II. von St. Petronell, der ein hohes Alter erreichte und drei Söhne hatte, musste erleben, dass zwei von ihnen vor oder etwa zeitgleich mit ihm starben. Sowohl er als auch die Söhne Hugo II. und Peter werden 1285 zum letzten Mal genannt. Der dritte Sohn, Albert III. von St. Petronell, hatte die geistliche Laufbahn eingeschlagen und war Pfarrer von Guntramsdorf. Um die Familie fortzupflanzen, trat er wieder in den weltlichen Stand über und vermählte sich mit einer Tochter des Ministerialen Otto von Wildungsmauer. Mit Dietrich V., dem Sohn aus dieser Ehe, erlosch 1303 oder bald darauf die Linie der Herren von Liechtenstein zu St. Petronell. Die große Herrschaft Petronell samt dem Markt fiel im Erbweg an die Herren von Kranichberg, deren Stammsitz südöstlich von Gloggnitz in der Gemeinde Kirchberg am Wechsel lag. Bereits in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts ist Petronell in ihrem Besitz nachzuweisen.
Das 13. Jahrhundert brachte für das Haus Liechtenstein mit dem Niedergang bzw. Erlöschen der beiden Linien auf Rohrau und Petronell sowie mit dem Übergang der wichtigsten Herrschaften und Burgen an verwandte Geschlechter eine schwere Krise. Dazu kam noch, dass 1246 das Herzogsgeschlecht der Babenberger, dem die Liechtensteiner über ein Jahrhundert lang treu gedient hatten, erlosch. In den bewegten Jahrzehnten, die in Österreich folgten, bedurfte es eines Mannes von außerordentlicher Tatkraft und diplomatischem Geschick, um das Haus Liechtenstein vor dem Absinken in die Bedeutungslosigkeit zu bewahren.
Heinrich I. von Liechtenstein und der Weg nach Mähren
Heinrich I. von Liechtenstein, der nach dem mütterlichen Großvater Heinrich von Guntramsdorf benannt war, hatte bei der Erbteilung mit seinen Brüdern Dietrich III. von Rohrau und Albert II. von St. Petronell den alten Familienbesitz an der Zaya im nordöstlichen Weinviertel geerbt, aber keinen Anteil an den viel attraktiveren Herrschaften Petronell, Rohrau und Liechtenstein erhalten. Es gelang ihm aber, mit den Burgen Alt- und Neuliechtenwarth (letzteres heißt seit 1570 St. Ulrich) ein neues Herrschaftszentrum zu schaffen. Trotz seiner relativ schmalen Machtbasis vermochte er sich durch seine Zielstrebigkeit und seine militärischen Fähigkeiten rasch persönliches Ansehen und politischen Einfluss zu verschaffen. Urkundlich wird er erstmals im Jahr 1234 fassbar, als er dem Kloster Niederaltaich in Bayern zum Ersatz der Schäden, die er der Abtei zugefügt hatte, Besitz übergab. Er selbst trat damals als Heinrich „von Liechtenwarth“ auf, und zu seinem Gefolge gehörten drei Ritter, die sich ebenfalls nach Liechtenwart nannten; sie zählten wohl zur Burgbesatzung. Ein vierter ritterlicher Gefolgsmann nannte sich nach dem alten Familienbesitz „von St. Petronell“.
Über die Haltung Heinrichs in den schwierigen Jahren 1236-1239, in denen Herzog Friedrich II. „der Streitbare“ von Österreich von Kaiser Friedrich II. verurteilt und geächtet war, liegen keine Nachrichten vor. Vieles deutet darauf hin, dass der Liechtensteiner nicht wie der Großteil des österreichischen und steirischen Adels auf die Seite des Kaisers trat, sondern dem geächteten Herzog die Treue hielt und in dieser kritischen Situation das besondere Vertrauen des letzten Babenbergers gewinnen konnte. Bereits in jenem Jahr 1239, in dem Herzog Friedrich II. wieder in seine Hauptstadt Wien einziehen konnte, finden wir Heinrich von Liechtenstein in seinem Gefolge. Auch der steirische Dichter und Minnesänger Ulrich von Liechtenstein berichtet in seiner „Artusfahrt“ von einem Zusammentreffen mit dem geächteten Herzog in Wiener Neustadt und jenen gesellschaftlichen Aufsteigern, die dem Babenberger die Treue gehalten und dadurch führende Positionen erlangt hatten. Unmittelbar davor erzählt der Minnesänger über das Zusammentreffen mit Heinrich von Liechtenstein, der sich damals wohl ebenfalls in der Umgebung des Herzogs befand. Ab 1239 hielt sich dann der Liechtensteiner immer wieder beim Herzog auf, der diesen tapferen, zielstrebigen und treuen Mann besonders zu schätzen wusste.
Weniger Anklang fand Heinrich allerdings bei den Dichtern und fahrenden Sängern, die auf die milte, die Großzügigkeit und Freigebigkeit adeliger Gönner angewiesen waren. Angesichts seines geringen Erbes und seiner eher schmalen Machtbasis wirtschaftete der Liechtensteiner mit äußerster Sparsamkeit, um seine Besitzungen zielstrebig zu vergrößern. Damit setzte er sich dem Vorwurf aus, ein knausriger Mann zu sein, der für die Künste nichts übrig hatte. Sein steirischer Namensvetter, der Minnesänger Ulrich von Liechtenstein, bewunderte zwar Heinrichs Stärke und Tapferkeit, kritisierte aber dessen fehlende milte. In seinem „Frauendienst“ beschrieb er Heinrich als einen tapferen Ritter, der aber unbedingt nach Reichtum strebe und den persönlichen Besitz noch vor die Tapferkeit stelle. Deshalb seinen ihm die Frauen abhold und er genieße (bei den Dichtern) nur wenig Ansehen.
Dass sowohl Heinrich von Liechtenstein als auch der Minnesänger Ulrich Herzog Friedrich II. trotz vieler negativer Charakterzüge besonders schätzten und treu zu ihm standen, lag vor allem am großzügigen Mäzenatentum des Fürsten, von dem beide Liechtensteiner profitierten. Der Herzog hatte 1244 für die Rettung zweier junger Adeliger, denen er „in zarter Liebe zugetan war“, einen Kreuzzug gelobt. Dazu entsandte er zwei Truppenkontingente nach Preußen, die dort im Verein mit dem deutschen Ritterorden das Land verwüsteten, die heidnische Bevölkerung hinmetzelten und das Vieh wegtrieben. Als sich ihnen Herzog Svantopolk von Pommern mit seinem gesamten Heer entgegenstellte, war es Heinrich von Liechtenstein, der durch seine Umsicht und persönliche Tapferkeit die drohende Niederlage der „Kreuzfahrer“ in einen Sieg verwandelte. Der Geschichtsschreiber Peter von Duisburg hat in seiner „Chronik des Preußenlandes“ die Heldentaten des Liechtensteiners in den glänzendsten Farben dargestellt.
Schon bald nach seiner Rückkehr konnte Heinrich I. neuen Kriegsruhm erwerben. König Bela IV. von Ungarn, dem Herzog Friedrich II. von Österreich beim großen Einfall der Mogolen 1241 übel mitgespielt hatte, schritt zur Vergeltung. Mit einem großen Heer, das von russischen Truppen unter dem Fürsten Rastizlav von Halitsch (Halytsch) unterstützt wurde, drang er in Österreich ein, um jene Grenzgebiete zurück zu erobern, die ihm der Babenberger während der Bedrängnis durch die Mongolen entrissen hatte. Als es am 15. Juni 1246 bei Ebenfurth an der Leitha, nicht weit von Wiener Neustadt entfernt, zur Schlacht kam, war Heinrich I. von Liechtenstein der Bannerträger des österreichischen Heeres. Während sich Herzog Friedrich II. mit anfeuernden Worten an seine Krieger wandte, wurde er – nach der Darstellung Ulrichs von Liechtenstein – durch die von hinten angreifenden Russen getötet. Bald aber kam das Gerücht auf, der letzte Babenberger sei nicht den Feinden zum Opfer gefallen, sondern von eigenen Gefolgsleuten hinterrücks erschlagen worden. In dieser fast aussichtslosen Situation stellte sich Heinrich von Liechtenstein an die Spitze des österreichischen Heeres und führte es dank seiner persönlichen Tapferkeit zu einem glänzenden Sieg über die zahlenmäßig weit überlegenen Ungarn und Russen: Der Kampf, der tobte über ihm [dem erschlagenen Herzog] / es ging bald hin, es ging bald her / den Sieg jedoch gewann zuletzt / von Liechtenstein der edle Mann / der hier besonders tapfer war / und viele war´n von ihm erschlagen … So beschreibt der steirische Dichter Ulrich von Liechtenstein in seinem „Frauendienst“ diese Heldentat.
Der unerwartete Tod des Herzogs, mit dem das Geschlecht der Babenberger erlosch, stürzte Österreich und die Steiermark in eine jahrelange tiefe Krise. Weder die von Kaiser Friedrich II. eingesetzten Statthalter noch Gertrud, die Nichte des letzten Babenbergers, konnten sich durchsetzen. Getruds zweiter Gatte, Markgraf Hermann von Baden, führte zwar den Titel eines Herzogs von Österreich und Steiermark, starb aber 1250 ohne größere Erfolge erzielt zu haben. In dieser Situation nahm der österreichische Adel das Heft in die Hand und wandte sich an den mächtigen Nachbarn im Norden, das Königreich Böhmen. Dort war es 1248 zu einer Auseinandersetzung zwischen König Wenzel I. und dem böhmischen Adel, der den Thronfolger Přemysl Otakar II. zum „jüngeren König“ wählte, gekommen. Wenzel konnte sich im folgenden Jahr militärisch gegen seinen Sohn durchsetzen, hielt diesen im Herbst 1249 einige Wochen lang gefangen, söhnte sich dann aber mit ihm vollkommen aus. In diese Auseinandersetzungen hatten sowohl auf Seiten des Königs als auch des Thronfolgers österreichische Adelige eingegriffen. Zu den wichtigsten Parteigängern des jungen Přemysl Otakar zählte der Ungarnsieger Heinrich I. von Liechtenstein. Der Thronfolger lohnte ihm seine Treue dadurch, dass er ihm am 14. Januar 1249, noch als Markgraf von Mähren, Dorf und Herrschaft Nikolsburg (Mikulov) in Mähren zu ewigem Eigentum schenkte. Die in Brünn ausgestellte Urkunde, die bisweilen als Fäldschung bezeichnet wurde, befindet sich im Familienarchiv der regierenden Fürsten von Liechtenstein und ist über jeden Zweifel erhaben. Da zum Zeitpunkt der Schenkung noch der Verzicht der Brüder Wilhelm und Hermann von Dürrnholz (Drnholec) auf Nikolsburg ausstand, stellte Přemysl Otakar nach deren Zustimmung am 17. November 1249 eine zweite Urkunde aus, in der die Schenkung von Nikolsburg zu „deutschem Recht“ erneuert wurde. In einer dritten Urkunde hat Přemysl Otakar II. dann als König von Böhmen am 1. Mai 1262 die Schenkung von Nikolsburg mit allen Besitzungen und Hoheitsrechten in feierlicher Form erneuert und dabei nicht nur auf die Verdienste Heinrichs I. von Liechtenstein um ihn und seinen Vater verwiesen, sondern auch auf die Gefährdung seiner Person und seines Vermögens, die der Liechtensteiner damals auf sich genommen hatte.
Heinrich I. gelang es, in den Jahren 1249-1251 fast den gesamten österreichischen Adel für den böhmischen Thronfolger zu gewinnen. Gemeinsam mit dem Schenken Heinrich von Haßbach führte er jene Gesandtschaft an, die Anfang November 1251 in Prag von König Wenzel I. empfangen wurde und dessen Sohn Přemysl Otakar die Herrschaft über Österreich antrug. Mit diesem Akt wurde nicht nur Österreich erstmals der Herrschaft eines Königs unterstellt, sondern auch ein entscheidender Schritt dafür gesetzt, dass der „Goldene König“ in den beiden folgenden Jahrzehnten seine Macht über den gesamten Ostalpenraum bis an die Adria ausdehnen konnte. Als einer seiner engsten Vertrauten hat Heinrich I. von Liechtenstein in den folgenden Jahren die einflussreichsten Ämter bekleidet: er war einer der vier Landrichter (iudices provinciales), die der König in Österreich einsetzte, und zählte zu dessen Ratgebern für Österreich (consiliarii per Austriam). Nach dem Sieg bei Groissenbrunn auf dem Marchfeld, mit dem Přemysl Otakar II. 1260 dem König von Ungarn die Steiermark abgewann, wurde Heinrich I. sogar zum Landeshauptmann der Steiermark bestellt. Er legte dieses schwierige Amt aber nach einem Jahr zurück. Als er 1266 starb, konnte er seinen Kindern, für die er in seinem Testament entsprechend vorgesorgt hatte, nicht weniger als sechs Burgen und Herrschaften mit stattlichen Einkünften hinterlassen. Die von den Zeitgenossen kritisierte Sparsamkeit hatte also reiche Früchte getragen.
Von allen Erwerbungen Heinrichs war Nikolsburg in Mähren mit Abstand die wichtigste. Die Burg, der Ort, der 1279 Marktrecht erhielt und sich rasch zur Stadt entwickelte, und die große Herrschaft bildeten drei Jahrhunderte lang das Zentrum der liechtensteinischen Besitzungen und die Residenz der Familie. Nach ihr nannten sich Heinrich I. und seine Nachkommen hinfort „von Liechtenstein von Nikolsburg“. Diesen Titel behielten die Liechtensteiner auch bei, nachdem Nikolsburg 1560 an den ungarischen Adeligen Ladislaus von Kereczin verkauft und etwas später zur Residenz der Fürsten Dietrichstein wurde. Selbst nach der Erlangung der Souveränität im 19. Jahrhundert führte der Feldmarschall Johann Joseph den Titel „souverainer Fürst und Regierer des Hauses von und zu Liechtenstein von Nikolsburg“. Im Grenzbereich von Mähren, Österreich und Ungarn gelegen, bot Nikolsburg den Liechtensteinern die Gelegenheit, zu einer eigenständigen Schaukelpolitik zwischen den Monarchen dieser Länder. Die geschickte, bisweilen auch rücksichtlose Ausnützung aller Möglichkeiten brachte dem Haus Liechtenstein 1620/23 die Erhebung in den Reichsfürstenstand und schließlich die Souveränität ihres Fürstentums.
Aus dem Kapitel, des Burgführer der Burg Liechtenstein "Liechtenstein - die Anfänge der Burg und die Herkunft der fürstlichen Familie" von Prof. Dr. Heinz Dopsch,2012 Salzburg