Der Erbauer der Burg - Hugo von Liechtenstein (108? - † um 1142)
Hugo I. wird mit dem Prädikat "von Liechtenstein" in den Jahren 1120/1130 bis 1143 insgesamt siebenmal urkundlich genannt, davon sechsmal im Traditionsbuch des Augustiner-Chorherrenstiftes Klosterneuburg und einmal in jenem des Zisterzienserklosters Zwettl, einer Gründung der Herren von Kuenring. Dabei trat der erste Liechtensteiner dreimal im Gefolge des Babenbergers Leopold IV. auf, der zunächst Markgraf von Österreich und 1139-1141 auch Herzog von Bayern war. Als dieser durch den Grafen Luitold von Plain Besitz in Pirawarth (bei Gänserndorf in Niederösterreich) an das Stift Klosterneuburg übergab, erscheint mitten unter neun Zeugen edelfreier Herkunft, nach Hartnid und Konrad von Traisen und vor Hadmar von Kuffern, Hugo von Liechtenstein (Huc de Lihtensteine). "Auf seinem Totenbett", am 18. Oktober 1141, übergab Herzog Leopold IV. das Gut Krumau am Kamp an die Zisterzienserabtei Zwettl. Im letzten Drittel der Zeugenreihe wird unter den Dienstmannen des Herzogs auch Hugo von Liechtenstein genannt. Auch alle anderen Nennungen im Traditionsbuch von Klosterneuburg reihen Hugo unter die Zeugen aus dem Ministerialenstand. Es kann also kein Zweifel daran bestehen, dass Hugo zu diesem Zeitpunkt zu den "Ministerialen", den unfreien Dienstmannen Herzog Leopolds, zählte.
Über Hugos Herkunft und ursprünglichen Stand gibt eine Urkunde Auskunft, die König Konrad III. im Mai 1142 ausstellte. Hugo, der ohne Prädikat auftritt, wird darin als Getreuer (fidelis) des Königs bezeichnet. Markgraf Diepold III. von Cham und Vohburg hatte den Ort Petronell an der Donau, den Hugo bisher von ihm zu Lehen getragen hatte, dem König übergeben. Dieser übertrug nun Petronell als freies Eigen an Hugo. Zu Petronell gehörte umfangreicher Grundbesitz, der sich von der Donau im Norden bis zur Leitha im Süden erstreckte und auch Fischerei und Jagdrechte umfasste. Auf Bitten seines Stiefbruders, des Markgrafen und späteren Herzogs Heinrich II. "Jasomirgott" von Österreich, hatte der König bereits die Abhaltung eines täglichen Marktes in Petronell bewilligt. In Anwesenheit zahlreicher Fürsten übertrug nun Konrad III. den Markt Petronell mit allem Zubehör als freies Eigen an den Getreuen Hugo, hinter dem sich kein anderer als der erste bekannte Liechtensteiner verbirgt.
Aus dieser Urkunde geht hervor, dass Hugo als freier Gefolgsmann des Markgrafen Diepold III. nach Österreich gekommen war und von diesem mit Petronell belehnt wurde. Seine angesehene Position geht aus der Belehnung durch den König, die Anwesenheit zahlreicher Fürsten und die umfangreichen Rechte, die er für den Markt Petronell erhielt, hervor. Auch sein neuer Dienstherr, Markgraf Heinrich II. von Österreich, der 1141 seinem verstorbenen Bruder Leopold IV. gefolgt war, hatte sich für Hugo eingesetzt. Er verzichtete offensichtlich darauf, dass Hugo in dieser Urkunde als sein Ministeriale bezeichnet wurde, obwohl dieser schon seit einigen Jahren in den Diensten der Babenberger stand. Petronell, dass nach der namengebenden Patronin, der hl. Petronilla, damals als St. Petronell bezeichnet wurde, ging von Hugo an seine Nachkommen über und war von 1234 bis 1303 der namengebende Sitz einer Linie des Hauses Liechtenstein.
Was aber hatte Hugo bewogen, seine Position als Edelfreier aufzugeben und ganz offenbar im Einverständnis mit dem Markgrafen Diepold III., der sich damals aus den österreichischen Positionen zurückzog, in die Dienste der Babenberger zu treten? Der Preis dafür war mit ziemlicher Sicherheit die Burg Liechtenstein, die Hugo nur mit Zustimmung der Babenberger errichten konnte. Die Burg Mödling, ganz in der Nähe von Liechtenstein, war einst ein wichtiger Stützpunkt der Vohburger in Österreich. Spätestens seit 1114 war sie jedoch im Besitz der Babenberger, da sich seit diesem Jahr babenbergische Burggrafen auf Mödling nachweisen lassen. Mit Mödling waren aber auch die Liechtensteiner eng verbunden. Hinter jenem Hugo von Mödling, der nur einmal um 1140 im Traditionsbuch von Klosterneuburg genannt wird, verbirgt sich wohl kein anderer als der erste Liechtensteiner. Auch jener Hugo von Leesdorf (im Gemeindegebiet von Baden bei Wien), der 1114 und 1122 auftritt, wird wohl Hugo I. von Liechtenstein gewesen sein, der sich vor dem Bau der Burg Liechtenstein nach diesem Ort nannte. Damit lässt sich die Errichtung der Burg in die Jahre zwischen 1122 und 1136, als Hugo I. sich zum ersten Mal mit dem Prädikat "von Liechtenstein" auftrat, datieren.
Der Bau einer Burg bedeutete damals für Ministerialen ein besonderes Vorrecht, das sie nur vom Landesfürsten erhalten konnten. Meist saßen Dienstmannen auf größeren Gutshöfen oder Meierhöfen, bisweilen auch auf einfachen Wohntürmen. Auch Hugos frühe Sitze in Leesdorf, Steden und vielleicht auch in Mödling dürften diesem Typ entsprochen haben. Die Burg Liechtenstein war jedoch, wie neue archäologische Untersuchungen gezeigt haben, schon im 12. Jahrhundert ein stattlicher Bau in Form einer mehrgliedrigen Anlage. Der Eintritt Hugos in die Dienstmannschaft der Babenberger war also mit außerordentlichen Zugeständnissen erkauft worden. Dass dies in Absprache mit den Markgrafen von Cham und Vohburg erfolgte, zeigt die Übertragung von Petronell, die erst etliche Jahre nach dem Bau der Burg Liechtenstein stattfand. Mödling wurde im frühen 13. Jahrhundert zum Sitz der Herzoge von Mödling, einer Seitenlinie der Babenberger. Auch darin kam die enge Verbindung der Liechtensteiner zum Herzogshaus zum Ausdruck. Liechtenstein aber blieb als "Stammsitz" jenes Prädikat, das die Herren und regierenden Fürsten bis heute führen, obwohl die Burg selbst bereits 1278 im Erbweg an die steirischen Herren von Stadeck (Stattegg) fiel und erst 1807 als Ruine vom Fürsten Johann I. zurückgekauft wurde.
Auszug aus dem Kapitel, des Burgführer der Burg Liechtenstein "Liechtenstein - die Anfänge der Burg und die Herkunft der fürstlichen Familie" von Prof. Dr. Heinz Dopsch, Salzburg